Der Arbeitskreis für Überseeische Verfassungsvergleichung

 

Die Geschichte des Arbeitskreises ist von Anfang an mit der Zeitschrift „Verfassung und Recht in Übersee“ verbunden. Bei ihrer Gründung war diese eine absolute Ausnahmeerscheinung in der deutschen juristischen Zeitschriftenlandschaft. Ein Interesse an ausländischen Rechtsordnungen und besonders am öffentlichen Recht jenseits von Europa und Nordamerika war kaum vorhanden. Es gab damals jedenfalls in Deutschland auch nur einen sehr kleinen Kreis von potentiellen Mitarbeitern für Aufsätze oder Rezensionen.

 

 

Bei der Gründung der Zeitschrift 1968 hatte ihr Gründer, Herbert Krüger, noch die Hoffnung, an der Hamburger Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht (dem heutigen Institut für Internationale Angelegenheiten) eine größere Forschergruppe für das Themenfeld der Zeitschrift aufzubauen. Dem einen Referat für „Verfassungsrecht und internationale Beziehungen der neuen Staaten in Übersee“, das 1965 eingerichtet wurde und zunächst mit Dieter Schröder, von dem auch Idee und Konzeption der Zeitschrift stammten, seit 1969 dann mit mir besetzt war, sollten zwei weitere folgen. Zumindest je ein Referent für Afrika, Asien und Lateinamerika war vorgesehen. Aber das erwies sich als illusorisch.

 

 

Da kam Herbert Krüger auf eine unkonventionelle Idee: die Ignorierung des Forschungsfeldes durch die offizielle deutsche Wissenschaft sollte durch Freiwillige ausgeglichen werden, „Freischärler der Wissenschaft“, wie er sie nannte. Interessierte aus den unterschiedlichsten (überwiegend juristischen) Berufen sollten es übernehmen, die Verfassungsentwicklung in einem Land „zu beobachten“ und auf einer jährlichen Konferenz über ihre Beobachtungen zu berichten. Im Anfang waren das vor allem Herbert Krügers ehemalige Doktoranden. Kaum jemand konnte den alten Doktorvater besuchen, ohne mit einem Beobachtungsauftrag sein Arbeitszimmer an der Elbchaussee zu verlassen: das konnte ein Land sein, das den Betreffenden aus irgendeinem Grund interessierte, aber auch ein Sachthema: wer über die Bundesbahn promoviert hatte, sollte die Eisenbahnen in der Dritten Welt verfolgen, ein Doktorand, der inzwischen Gefängnisdirektor geworden war, den Strafvollzug.

 

 

1975 traf sich dieser Kreis zum ersten Mal in Lüdenscheid, von da an jedes Jahr bis heute. Im Mittelpunkt stand jeweils der Vortrag eines Wissenschaftlers (den ersten hielt Herbert Krügers Lehrstuhlnachfolger Ingo von Münch), hinzu kamen Kurzreferate von Mitgliedern oder Gästen. Kennzeichen des Arbeitskreises war von vorne herein eine große Liberalität: es gab weder Satzung noch Organe noch Mitgliedsbeitrag, jeder konnte, keiner musste einen Beitrag leisten. Finanziert wurden die Treffen mäzenatisch, die ersten Jahre durch Armin Albano-Müller, danach von Herbert Krüger selbst, die Organisation übernahm Gerhard Scheffler, Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

 

 

Natürlich wurden nicht alle, die dem Arbeitskreis aus unterschiedlichen Gründen beitraten, oft nur weil sie der hartnäckigen Einladung Herbert Krügers nicht widerstehen konnten, Experten für ein Verfassungssystem der Dritten Welt, eine ganze Reihe aber erwarb einen hohen Sachverstand. Außerdem erweiterte sich der Kreis rasch um Teilnehmer, die bereits mit Expertise für eine bestimmtes Land zur Gruppe stießen: Doktoranden (inzwischen nicht mehr von Herbert Krüger, sondern von Mitglieder des Kreises, die selbst Hochschullehrer geworden waren,) Referenten von Forschungsinstituten aber auch ehemalige Diplomaten, die über die Länder berichteten, in denen sie tätig waren. Der Charme der freundschaftlichen Laienforschung der Anfangsjahre wurde zunehmend durch den Austausch professionellerer Forschungsergebnisse ersetzt.

 

 

Mit dem Tod Herbert Krügers 1989 drohte kurz das Aus, aber der Arbeitskreis konnte auf eine neue Grundlage gestellt werden, die bis heute trägt. Die Finanzierung übernahm die von Herbert Krügers Tochter Gabriele Krüger gegründete Herbert Krüger Stiftung für Überseeische Verfassungsvergleichung, und der Arbeitskreis wurde nunmehr auch institutionell eng mit der Zeitschrift Verfassung und Recht in Übersee verbunden. Die Jahrestagung wurde gleichzeitig der Ort für Redaktions- und Herausgebersitzung und Treffen des Stiftungskuratoriums. Die Lehrstühle der Herausgeber Philip Kunig (FU Berlin) und Brun-Otto Bryde (JLU Gießen), die zusammen mit Karl Hernekamp die Verantwortung für die Zeitschrift übernommen hatten, sorgten abwechselnd für das wissenschaftliche Programm, die technische Organisation wurde zunächst weiter von Gerhard Scheffler, später ebenfalls von den beteiligten Lehrstühlen  im Wechsel übernommen.

 

 

Im Zentrum steht weiter ein Vortrag eines arrivierten Wissenschaftlers, ergänzt um Kurzreferate. Da diese zunehmend, neben den weiter aktiven ursprünglichen Arbeitskreismitgliedern, Berichte der Doktoranden der Herausgeber waren, wurde das Treffen so etwas wie ein überregionales Graduiertenkolleg. Zunächst lag das Schwergewicht dabei auf Doktoranden, Mitarbeitern und Gastwissenschaftlern der Berliner und Gießener Professuren. Da die Zahl von Juraprofessoren, die als Doktorväter für überseeische Verfassungsvergleichung in Betracht kamen, beschränkt war, kamen diese Doktoranden aber nicht nur aus Berlin und Gießen.

 

 

Die damit schon angelegte Entwicklung vom Treffen interessierter „Freischärler der Wissenschaft“ zur wissenschaftlichen Fachtagung wurde entscheidend durch die Erweiterung der Herausgeberschaft der Zeitschrift und ihren Übergang an die nächste Generation gefördert. Die Erforschung der Verfassungsentwicklung des globalen Südens ist in Deutschland zwar nach wie vor unterentwickelt und förderungsbedürftig, aber sie ist inzwischen selbstbewusst und kräftig, mit Professuren, die ihr den Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit widmen, Forschergruppen und zahlreichen Doktoranden. Für diesen wachsenden Kreis von Juristinnen und Juristen, die zum Recht des Globalen Südens forschen und arbeiten, ist das jährliche Treffen des Arbeitskreises heute eine wichtige Kommunikationsplattform geworden.

 

 

 

 

Brun-Otto Bryde